Kirsten Kötter

Zu den Arbeiten von Enrico David, Emily Wardill und Hervé Guibert

"Destroyed Men Come and Go" von Enrico David. "Identical" von Emily Wardill. "This and More" von Hervé Guibert, KW Institute for Contemporary Art – Kunst-Werke Berlin,

Die KW haben drei neue Ausstellungen auf drei Etagen. Und auf alle drei Ausstellungen reagiere ich sofort mit starken Gefühlen.

Im Erdgeschoss bin ich allein mit den Skulpturen von Enrico David. Sie liegen und stehen auf dem Beton in der großen Halle. sie sind nicht besonders groß. Um sie rum viel Raum. Sie sind abstrakt und dann doch nicht. Sie haben kleine Köpfe, immaterielle Körper, die fast verschwinden. Giacometti kann einem sofort in den Sinn kommen. Sie sind ästhetisch, haben eine Nähe zu Design. Sie wirken wie in Bewegung, im Prozess.

Ich schaue und schaue und schaue noch einmal. Eine Ausstellung, wo ich einfach schauen kann. Wo ich aber nur schreiben könnte, wenn ich direkt vor den Skulpturen säße. Um die Skulpturen zu beschreiben. Und warum sollte ich das tun? Jede und jeder sollte lieber schauen, statt meinen Text zu lesen.

Ich zeichne die Skulpturen mit einem dünnen schwarzen Filzstift. Das geht sehr gut. Ich wäre nicht überrascht, wenn die Skulpturen aus solchen Zeichnungen entwickelt worden wären. So kann ich sie ein bisschen mitnehmen. Und vergesse sie nicht so schnell.

Dann gehe ich in den 2. Stock zu der Arbeit von Emily Wardill. Vor der Tür zwei KW-Mitarbeiter. Ich gehe in den dunklen Raum zuerst zur von hinten beleuchteten Informationstafel, froh über das Licht hinter der Eingangstür. Und die KW-Leute schließen die Tür mit einem Rumms. In mir steigt sofort Panik auf. Wird die Tür wieder aufgehen? Oder bin ich eingeschlossen? Es riecht auch komisch in dem Raum. Wie beim Zelten in Andalusien mit Heike sage ich mir: Nein, Du hast nur Platzangst. Du bildest Dir alles nur ein. (Damals sagte ich mir noch: Es ist nur Einbildung, dass Du denkst, die Zeltplane läge auf Deinem Gesicht. Worauf sich aber heraus stellte, dass es keine Einbildung war.) Ich lese weiter. Ich höre einen Sound und gehe in den Raum und finde dort zwei große Bildschirme. Meine ersten Bilder, die ich sehe, wirken wie ein Filmausschnitt, wenn ich es noch richtig erinnere, sprechen ein junges Mädchen und ein älterer Mann in einem Auto. Dieses Bildmotiv ist eigentlich das angenehmste von allen, die ich noch schaue. Aber trotzdem entwickele ich sofort eine Abneigung gegen das Motiv. Es währt nicht lange, und es folgen andere. Alle mag ich nicht. Ich nehme mir vor, vier verschiedene Bildmotive durchzuhalten, damit ich etwas beurteilen kann. Ich weiß nicht mehr, ob ich vier geschafft habe oder nur drei. Mein letztes Motiv zeigt einen Mann und eine Frau nackt auf einem Bett. Vielleicht sind es auch Puppen. Die Perspektive der Körper ist extrem verzerrt. Eine ganz seltsame Räumlichkeit entsteht, in der keine Vorhersagen von Größe, Raum und Entfernung möglich sind. Es wirkt auf mich falsch, schlecht. Die Menschen oder Puppen schlagen sich oder werden geführt zum Schlagen. Die Szene dauert sehr lange. Hier steige ich endgültig aus. Ich sage mir, dass ich meinem Gefühl folgen möchte und verlasse unmittelbar den Raum. (Die Tür geht ohne Problem auf.)

Dann gehe ich in den 3. Stock zu den Fotos von Hervé Guibert. Auf einem grauen Stofffries, der sich durch den Raum zieht, hängen die nicht allzu großen Schwarz-Weiß-Fotos nebeneinander. Sie haben Bilduntertitel, aber diese brauche ich eigentlich nicht. Mir fällt sofort ein Wort zu den Fotos ein: Intimität. Dabei sehe ich hauptsächlich Interieurs mit Spuren von Menschen. Ich sehe kleine Innenräume oder Möbel. Ich sehe Dinge. Betten, Bilder, volle Schreibtische. Nichts, was zwangsläufig das Wort Intimität erzwingt. Die Bilder zeigen besonders schöne Grautöne. Das zweite Wort, das mir noch einfallen würde, wäre zärtlich. Die Bilder sprechen, erzählen. Es ist nicht so, dass ich sie mir in Worte übersetze. Ich schaue sie an und fühle sie als Dichte, nehme Details wahr, denke zum Beispiel beim ersten Bild der Ausstellung: Ach, diese Zettel sind aber gleichmäßig auf dem Boden verteilt. Oder bei einem späteren Foto: Ach, dieses Bett steht aber schief, dabei sind Betten doch normalerweise vorne und hinten gleich hoch. Diese Beobachtungen lassen mich in Betracht ziehen, dass die Fotos arrangiert und inszeniert sind. Manche sind vielleicht auch vorgefunden. Aber eigentlich scheint jedes Ding auf den Fotos von so großer Wichtigkeit. So nehme ich an, dass sie sehr mühevoll arrangiert sind. Dass der Fotograf viele Variationen versucht hat. Es ist mir aber gar nicht wichtig, wie die Fotos entstanden sind. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, welche Mühe sie vielleicht gemacht haben. Ich möchte sie einfach genießen. Ich tauche in sie ein, wie in ein Glas Honig, und koste sie.

Webseite

https://www.kw-berlin.de/

Kirsten Kötter,