Schwimmen wie ein Fisch
Museum Reinhard Ernst, Wiesbaden. Eröffnet am .
Das neue Museum Reinhard Ernst in Wiesbaden wurde von Fumihiko Maki gebaut. Es ist ein Museum für abstrakte Malerei, die Reinhard Ernst gesammelt hat. Auch Skulpturen sind Teil seiner Sammlung. Das Museum außen: ein weißer Würfel; das Museum innen: 3 Stockwerke um ein Atrium gebaut – die Architektur des Museums für abstrakte Kunst wurde in den Medien schon vor und während des Baus viel besprochen.
Das Wesen der Abstraktion ist Reduktion. Die Architektur Makis folgt diesem Ideal kaum merklich und subversiv. Treppenhaus und Flure sind hell, da vom Atrium beleuchtet, wirken unauffällig und zweckmäßig, könnten auch zu einem Verwaltungs- oder Bürogebäude gehören. Ich laufe durch Flure und Treppenhaus und von da in die einzelnen Räume der Kunst. Bis mir langsam aber stetig ins Bewusstsein dringt, dass diese "dienenden" Architekturelemente reduziert sind auf das Wesentliche. Nichts hindert mich auf meinen Wegen zur Kunst. Ich kann mir dieses Architektur-Erlebnis "erlaufen".
Im Atrium und in den Fluren sind Skulpturen und Installationen zu sehen, nicht alle überzeugen, auch nicht von Standort oder Beleuchtung.
Ein außergewöhnliches Erlebnis bieten die Kunsträume mit ihrer Malerei: große "white Cubes", etwas unterschiedlich in Dimension und Größe und vor allem in Beleuchtung und Farbe. Der Sammler und Museumsgründer Reinhard Ernst bevorzugte große Bilder. So groß sind einige Bilder, dass ich sie mir "erlaufe". Einige Werke, die ich erstmals erleben kann, denn es gibt neben den vielen bekannten und berühmten Namen, deren Kunstwerke gezeigt werden, auch solche mit nicht so bekannten Namen oder auch unbekannte Werke von den bekannten Künstlerinnen und Künstlern.
Die Leere der Räume, leer bis auf die Malerei, und die Größe der Arbeiten, ermöglichen ein ungehemmtes Eintauchen. Da ist Farbe, Form, Textur und Struktur. Da ist die Räumlichkeit des Bildraums. Ich begegne den großen Bildern, laufe bei besonders großen von einem Ende zum anderen. Das lässt mich meiner eigenen Größe und Dimension gewahr werden. Für mich hat abstrakte Malerei viel mit Raum und Räumlichkeit zu tun. Ich bin selbst Malerin, male fast nur abstrakt. Weil ich in der Malerei "Raum" erleben kann, auch beim Malen von kleinen Formaten, male ich. Das "Raum-im-Kopf-Erleben" ist ein sinnliches Erlebnis. Die Dimensionen des Körpers erleben ist ein sinnliches Erlebnis. Es ist Sommer. Weil ich so gerne schwimmen gehe, mache ich das nach dem Museumsbesuch. Das Schwimmbad hat sehr kaltes Wasser. Es ist fast leer, kaum jemand schwimmt. Eine riesige türkise Fläche, in die ich tauchen kann. Ich empfinde die Ähnlichkeit von gemalten Bildern mit einem Schwimmbecken. Bei beiden spielt die Oberfläche eine Rolle, die ganz glatt sein kann oder etwas gewellt. Eine Oberfläche, die das Wasser von der Luft trennt oder den Malgrund vom Raum. Und hinter der Oberfläche ist eine Welt, in die ich tauchen kann. Ein Raum im Museum Reinhard Ernst ist zwei Stockwerke hoch mit riesigen Bildern der "Color Field"- oder Farbfeldmalerei von Helen Frankenthaler und Morris Louis. Gemalt wurde von diesen auf nesselfarbig-beige ungrundierte Leinwand. Die Farben wurden flüssig aufgetragen und konnten in die Leinwand einziehen. Farbigkeit und Kontrast sind so leicht gedämpft, muten organisch an. Diese hohen Bilder zeigen große reduzierte Formen, die unbemalte freie Flächen umschließen. Der hohe Raum ist hell und vom Boden sowie von einem Balkon im oberen Stock zu betrachten. Ein Anblick, wie ich ihn sonst nur von einem 3-Meter-Brett kenne. Mein Blick "springt" von hier oben direkt in die malereifreie Fläche von Helen Frankenthalers Gemälde.
Das Deutsche Guggenheim in Berlin zeigte 2010 die Ausstellung "Color Fields", die viele sehr begeisterte. 2010 gabe es viele Kunstausstellungen in Galerien und Museen, die mit neuen und wiederentdeckten Kunstwerken begeisterten. 2024 bedeutet Krieg vor der Haustür, Spaltung der Gesellschaft, Veränderung des Klimas, Verschleppen von dringenden wichtigen Umstrukturierungen, und den Auwirkungen der Digitalisierung und Sozialen Medien. Die Errungenschafte der Moderne werden hinterfragt, die modernen Brücken drohen einzustürzen. Wie damit umgehen?
Eine Anregung: Mit dem Fahrrad ins Museum kommen hat viele gute Auswirkungen. Die meisten Museen haben keine oder keine guten Fahrradständer. Leider auch nicht das doch neu gebaute Museum Reinhard Ernst. Das Konzept der Ständer schädigt das Fahrrad, und es sind sehr wenige. Wäre es nicht positiv, wenn viele mit dem Fahrrad kämen? Bei den Toilettenräumen im Untergeschoss ist ein neues spektakuläres Design zu bewundern. Vielleicht demnächst auch besonders und abstrakt gestaltete Fahrradständer?
Das ist das Besondere am Museum Reinhard Ernst: Abstrakte Kunst, reduziert auf das Wesentliche.
Links
https://www.museum-re.de/de/kunst/ausstellungen/
https://www.art-in-berlin.de/incbmeld.php?id=1999
https://palaispopulaire.db.com/exhibitions/past-exhibitions/deutsche-guggenheim
Kirsten Kötter,